Cairngorm-Runde (Teil 4): Unterkunftsaffäre

Hotel oder Ferienwohnung? All inclusive oder Vollpension? Auf der Suche nach einer standesgemäßen Urlaubsunterkunft verfängt sich unsere Lebenszeit im Netz der Möglichkeiten. Wer gründlich vorgeht, konsultiert mindestens drei verschiedene Bewertungsportale, studiert mehrere Reiseführer, gräbt sich durch achthundertsiebzehn Rezensionen bei TripAdvisor und recherchiert auf Googlemaps, wie weit das Ressort wirklich vom Strand entfernt liegt, um dann am Ende noch ein Reisebüro aufzusuchen, weil, naja, die da doch vielleicht noch mehr Ahnung haben als man selbst.

Ich liebe mein Zelt auch deshalb so furchtbar, weil es mir das erspart.

Schnaken zählen

Einen Eindruck gefällig? Nachts, wenn nur noch meine Nase aus dem Schlafsack guckt, gluckst mir von rechts meine Wasserflasche ins Ohr. Tütensuppen und Nudelpackungen knistern mich in den Schlaf. Die nassen Socken im Deckennetz singen ein Wiegenlied. Wenn ich nicht schlafen kann, zähle ich Schnaken. Igel, Regenwurm, Kröte, Spinne oder Nacktschnecke lungern im Vorzelt herum (irgendwer leistet mir immer Gesellschaft); die Viecher müssen aber draußen bleiben.

Die Frühstückszeiten sind flexibel. Morgens ist es vor acht Uhr glücklicherweise sowieso viel zu kalt, um aufzustehen. Und ich hatte noch nie Probleme mit überfüllten Speisesälen oder Handtüchern auf meinem Liegeplatz.

Im Zelt wachsen in mir Weltenbummlerfreiheitsgefühle. Zelten ist Aufbruchsstimmung, nie Finale, sondern Durchreise. Seeblick? Strandzugang? Gerne doch! Mein Zelt ist immer da, wo ich gerade sein will. Welches Hotel kann das schon behaupten?

Und doch bin ich ihm untreu geworden. Ich habe mich verliebt. Hatte eine Unterkunftsaffäre. Es war nur eine Nacht, nur ein einziges Mal. Ich werde es nicht vergessen.

Bothy im Moorhuhnland

Mitten in den schottischen Highlands schmiegt sich ein Häuschen, ein Bothy, in das Heidekraut. Ein Bothy ist eine spartanisch ausgestattete Schutzhütte, in der Wanderer Quartier beziehen können.

Das Bothy liegt auf der Stecke von Allt Iomadaigh nach Loch Avon, hinter Tomintoul, dem höchsten Dorf der Highlands, mitten im Moorhuhn- und Hasenland, wo, wer Glück hat, auf einem Berggrat eine Herde Rotwild beim Umherstolzieren beobachten darf.

Nach zwei Tagen Marsch über karge Kuppen, entlang an Bächen, durch Gestrüpp und ein paar Fetzen Wald lockt das Bothy. Die grün lackierte Tür verführt meinen Freund und mich dazu, mindestens einen Blick hineinzuwerfen: ein Raum, von dem eine steile Holzleiter unters Dach führt, ein wackliger Schreibtisch vor dem einzigen Fenster, das auf den River Avon schaut.

Das Bothy nennt sich Faindouran Lodge und wartet mit geöffneten Türen auf alle, die kommen. Ich bin dem Bothy verfallen, kann die Augen nicht von ihm lassen und streichele die weißgetünchten Wände, befingere das nackte harte Holz der Schlafpritsche.

Das Bothy hat sich in Schale geworfen, wurde erst vor Kurzem von Freiwilligen bei einer Work Party wieder hergerichtet. Unser Reiseführer hatte behauptet, die Lodge sei zerfallen.

Dass es vor mir andere gab, stört mich nicht und ich dringe tief in die intimen Gedanken der Gästebuchschreiber ein. Ich will es jetzt. Der Ofen in der Ecke neben dem Fenster ist mein Höhepunkt. Er will Hitze, Hingabe, Dienstbarkeit. Draußen klaube ich trockenes totes Holz auf, um ihn zu stopfen, damit ein Feuer – kurz und heiß – den Raum erwärmt.

Mein Zelt liegt unbeachtet neben meiner Schlafstatt. Es schluchzt leise, als am Abend zwei Wanderer an die Tür klopfen. Sie beziehen die obere Etage und mir wird klar: Das Bothy treibt es wirklich mit jedem.

 

Cairngorm-Runde (Etappe 4 und 5: von Allt Iomadaigh über Tomintoul nach Faindouran Lodge; Tour 3 in: Doris Dietrich und Anja Vogel: Schottland: Central Highlands & Cairngorms Nationalpark)

  • Land: Großbritannien (Schottland)
  • Anreise: Allt Iomadaigh war für uns der Ausgangspunkt der vorherigen Wanderung
  • Länge: rund 35 Kilometer für beide Etappen, Übernachtungsstopp an der Dalestie Lodge
  • Gehzeit: rund elf Stunden für beide Etappen (16. und 17. August 2017)
  • Höhepunkte: Pub (Glen Avon Hotel) in Tomintoul (gemütlich, einfach, urig, nette Bedienung), Rotwild, Blick ins Slochd Mor (ein Bergkessel bei der Ponymen’s Hut), Faindouran Lodge (ein Bothy), Frosch neben der Lodge, Feuermachen in der Lodge
  • Herausforderungen: teils heftiger Wind, teils ist kein Weg mehr erkennbar, man schlägt sich dann mitten durch das Heidekraut
Durch das blühende Heidekraut schimmern die Hügel der Highlands lila: Blick in das Slochd Mor auf dem Weg von Allt Iomadaigh zum Loch Avon.
Durch das blühende Heidekraut schimmern die Hügel der Highlands lila: Blick in das Slochd Mor auf dem Weg von Allt Iomadaigh zum Loch Avon.

 

 

 

4 Kommentare Gib deinen ab

  1. BernSicht sagt:

    Wunderschöne Gedanken zu einer außergewöhnlichen Affäre!!!

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    1. Jana sagt:

      Freut mich, dass dir der Blog gefällt! Liebe Grüße!

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